Geschichte

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Der Osten setzt Maßstäbe

Wie beispielhaft Sozialpartnerschaft gelebt werden kann, zeigt der Abschluss des Potsdamer Modells im Mai 2017. Die Flexibilisierung der Arbeit ist von den Nordostchemie-Tarifpartnern so gestaltet worden, dass Wettbewerbsfähigkeit einerseits und gute Arbeit für die Beschäftigten andererseits sich nicht im Widerspruch befinden. Auch die konkrete Ausgestaltung des Manteltarifvertrags in den Unternehmen wird Seite an Seite bestritten. Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Nordostchemie, und Oliver Heinrich, Landesbezirksleiter der IG BCE Nordost, bekräftigen im Interview den gemeinsamen Weg.


Seit einiger Zeit ist das gemeinsame Beraterteam in den Unternehmen des Tarifgebiets Nordostchemie unterwegs. Wie sind die Beratungstermine angelaufen, gibt es schon Ergebnisse?

Nora Schmidt-Kesseler
: Unser gemeinsames Team Daniel Hupka und Birgit Grunow hat jede Menge zu tun. Sie sind gut eingespielt, zwischen ihnen stimmt die Chemie. Sie haben schon auf vielen Terminen Geschäftsführungen, Personalleiter und Betriebsräte zu den verschiedensten Möglichkeiten der Ausgestaltung des Potsdamer Modells beraten. Der Rücklauf ist positiv. Viele weitere Beratungsrunden stehen in den nächsten Wochen und Monaten an.

Bislang gibt es noch keine konkreten Abschlüsse, erste Ergebnisse erwarten wir Anfang der zweiten Jahreshälfte. Aber uns allen war von Anfang an klar, dass die konkrete Umsetzung in den Betrieben Zeit braucht. Schnellschüsse helfen niemandem: Es kommen die unterschiedlichsten Fragen, viele Details harren der individuellen Lösung. Aber das ist normal, es müssen vor der konkreten Umsetzung sehr viele Einzelheiten bedacht, ein Gleichgewicht zwischen betrieblichen Notwendigkeiten und den Wünschen der Mitarbeiter geschaffen werden. Schließlich ist die beste Lösung diejenige, die alle speziellen Gegebenheiten in jedem Unternehmen berücksichtigt.

Oliver Heinrich: Vor diesen Beratungsterminen haben wir auch intensive Schulungen zum Thema für die Betriebsräte in den Unternehmen angesetzt. Es ist wirklich sehr positiv, dass unser gemeinsames Beratungsteam so rege angefragt wird. Das zeigt letztlich auch die Möglichkeiten, die im Potsdamer Modell stecken. Wir wussten, dass die derzeit laufenden Betriebsratswahlen den Prozess der Umsetzung ein wenig dämpfen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir im Sommer die ersten konkreten Vereinbarungen oder Ideen sehen können.

Was macht eine gute Sozialpartnerschaft aus?

Nora Schmidt-Kesseler: Sozialpartnerschaft heißt, dass man vertrauensvoll zusammenarbeitet, obwohl auch gegensätzliche Standpunkte vertreten werden. Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen spiegelt sich auch in der Tatsache wider, wie gut es den Mitarbeitern geht. Wir stehen meistens vor Fragestellungen, die beide Seiten gleichermaßen betreffen. Nehmen Sie zum Beispiel die Themen Fachkräfte oder Bildung. Entwickelt man gemeinsam eine Idee, geht die Lösung gemeinsam an, kann das nur zum Erfolg führen. Meint man Sozialpartnerschaft ernst, sucht man nach innovativen Lösungen. Wie beim Potsdamer Modell die individuelle Wahlarbeitszeit etwa oder den Arbeitszeitkorridor in den Unternehmen. Da haben wir zusammen Geschichte geschrieben, Maßstäbe gesetzt. 

Oliver Heinrich: Es gehört dazu, dass es in einer Partnerschaft Differenzen und Auseinandersetzungen, aber auch Gemeinsamkeiten gibt. Die chemische Industrie ist eine Branche, die sich verschiedenen Abhängigkeiten ausgesetzt sieht. Globale und nationale Regelungen, Wettbewerb, Arbeitsschutz und Energiepreise. Als Gewerkschaft können wir uns nur um gute Arbeit und entsprechende Arbeitsbedingungen kümmern, wenn wir auch gute Industriearbeitsplätze im Lande haben. Von daher gibt es viele Punkte, bei denen wir uns gemeinsam gegenüber dem Gesetzgeber, den Investoren, Europa positionieren. Damit sich einerseits die Unternehmen gut entfalten können und andererseits die Arbeitsbedingungen sich gut entwickeln können.

In der Öffentlichkeit ist das Potsdamer Modell von verschiedensten Seiten hoch gelobt worden. Hat es eine Vorbildwirkung für andere Branchen?

Oliver Heinrich: Auf jeden Fall. Im Moment warten natürlich alle auf die ersten praktischen Umsetzungen. Wenn ich mir einige der letzten Tarifrunden in anderen Branchen anschaue, dann finden sich dort Gedanken und Elemente, die wir in der inhaltlichen Debatte der Tarifrunde vor dem Abschluss des Potsdamer Modells geführt haben. Wir haben aber auch eine große Strahlkraft innerhalb der Branche, die Kollegen in anderen Tarifbereichen schauen auf das, was wir tun. Kurz gesagt, wir im Osten haben eine Vorreiterrolle eingenommen.

Nora Schmidt-Kesseler:  Das sehe ich genauso. Wir waren mit unserer Debatte der Zeit voraus. Unser Abschluss im Mai 20017 hat aktuelle Fragen aufgegriffen und für andere Branchen gewisse Lösungswege aufgezeigt. Wir haben zudem einen einfachen, gut nachzuvollziehenden Abschluss erreicht. Die große öffentliche Debatte um flexible Arbeitszeiten ist erst so richtig in Schwung gekommen, als wir unseren Abschluss hatten. Viele Journalisten haben nachgefragt, darüber geschrieben, deshalb ist die Debatte in Fahrt gekommen.  Die vielen Anfragen aus der Politik zeigen außerdem, dass Sozialpartner gemeinsam bessere Lösungen generieren, ohne dass der Gesetzgeber etwas vorschreiben muss.

Oliver Heinrich: Das ist ein wichtiger Punkt! Wir stecken mit dem Manteltarifvertrag einen großen Rahmen ab und geben den Betriebspartnern vor Ort, also den Geschäftsführungen und Betriebsräten, die genau um alle Umstände im Unternehmen wissen, die Möglichkeit, konkret und verantwortungsvoll zu entscheiden. 

Kann das Potsdamer Modell attraktiv für Unternehmen sein, die bislang nicht tarifgebunden sind?

Nora Schmidt-Kesseler: Durchaus, denn das Potsdamer Modell macht Arbeit höchst flexibel, bietet Arbeitgebern und Arbeitnehmern sehr viele Vorteile. Die konkreten Regelungen in den Betrieben, vor allem in den mittelständischen, können Vorbildwirkungen erzielen. 

Oliver Heinrich: Natürlich wäre das im Sinne beider Seiten, wenn sich weitere Unternehmen für unsere Tarifverträge und unser Potsdamer Modell begeistern würden. Und auch wir als tarifabschließende Gewerkschaft freuen uns über neue Mitglieder.
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